Das folgende Referat wurde am 19.12.01 auf einer Veranstaltung des Anti-Kriegs-Plenums in Mannheim gehalten

The World at Gunpoint oder
Weltinnenpolitik im Zeitalter der Globalisierung

Eine genaue, allgemein akzeptierte Definition des Begriffs Globalisierung gibt es nicht. Globalisierung: das ist jedenfalls kein Zustand, sondern ein schubweise verlaufender Prozeß, bei dem weltweit die Verflechtungen und Beziehungen zunehmen. Das betrifft vor allem die Wirtschaft, aber auch Politik und Kultur.

Welthandel ist nichts prinzipiell Neues, schon in der Antike wurde Seide von China nach Europa exportiert. Der Kapitalismus bedeutete von seinen ersten Anfängen an Weltwirtschaft. Im 1.Band des Kapitals schrieb Marx: "Welthandel und Weltmarkt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals" Bei aller Expansion blieben politische und ökonomische Macht jedoch noch lange Zeit an die Nationalstaaten gebunden. Diese konkurrierten im Interesse der eigenen nationalen Kapitalien um Kolonien, Märkte und Rohstoffe.

Ende des 19. Jhd. war der Anteil des Welthandels an der Gesamtwirtschaft in vielen Ländern höher als heute. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen diesem ersten Höhepunkt der Globalisierung vor 100 Jahren und heute: Im Jahr 1913 machten landwirtschaftliche Produkte rund 70% des Welthandels aus, heute liegt ihr Anteil gerade mal bei 17%. Der Anteil von Industriegütern ist beträchtlich gestiegen.

Globalisierung bedeutet heute nicht nur Welthandel und internationale Finanztransaktionen, sondern globale Produktion. Die Zahl der multinationalen Konzerne ist im letzten Jahrzehnt von etwa 7000 auf 40 000 gestiegen. 3700 Multis agieren weltweit, sie kontrollieren rund die Hälfte der weltweiten Industrieproduktion und des Handels. Weltkapital gibt es also nicht mehr nur im abstrakten Sinn als Gesamtheit der nationalen Kapitalien, sondern ganz konkret.

Zwar gibt es das Weltkapital in Gestalt transnationaler Unternehmen, der global players. Wer aber sind die politischen Regelungsinstanzen auf übernationaler Ebene? Eine Weltregierung gibt es nicht. Deshalb nehmen Bedeutung, Einfluß und Macht von trans- und internationalen Institutionen zu. Wirtschafts-, Finanz-, politische und militärische. Institutionen setzen nicht nur weltweite Regeln fest, sondern diese mittels Wirtschaftssanktionen, Kreditvergabe oder militärischen Interventionen auch durch. Beispiele für solche Institutionen sind Internationaler Währungsfond, die Weltbank und die Welthandelsorganisation WTO.

Anhand der WTO kann man den Trend zu supranationalen Organisationen sehr schön sehen. Vorläufer der WTO war GATT gewesen, ein internationales Abkommen. Ein Abkommen zwischen Staaten bei dem sich die Vertragsunterzeichner zur Einhaltung der Regeln verpflichteten. Die 1995 gegründete WTO ist hingegen ist eine übernationale Organisation, die stärker als je eine Organisation zuvor in internationale Streitigkeiten eingreifen kann.

Zunahme der Bedeutung von transnationalem Kapital führt zwangsläufig zu einem Bedeutungsverlust nationalstaatlicher Souveränität. Der eigentliche Grund für die Erosion der Nationalstaaten als bisher oberste Form der gesellschaftlichen Organisation ist jedoch ein anderer: Sie sind tendenziell nicht mehr in der Lage, ihre wichtigste Aufgabe im Rahmen der kapitalistischen Weltordnung zu erfüllen.

Diese nämlich, die wichtigste Aufgabe der Nationalstaaten war und ist die Einhegung der gesellschaftlichen Widersprüche und des Klassenkampfs 1. auf das staatliche Territorium und 2. auf Verhandel- und Regulierbarkeit.

Nach der Auflösung des Ostblocks verloren Institutionen der sozialen Vermittlung und Regulierung, wie Nationale Befreiungsbewegungen, Gewerkschaften und Kommunistische Parteien an Einfluß. Weil institutionalisierte und sich auf den Staat beziehende Formen der Unzufriedenheit an Bedeutung verloren, verlor auch der Staat an Bedeutung. Er erwies sich als unzureichend zur Eindämmung der Konflikte, sowohl was deren territoriale Eingrenzung angeht, als auch die soziale Vermittlung. Ein Teil der Bewegungen konnte als NGOs (Nichtregierungsorganisationen) wieder integriert werden, aber alles in allem wurden die sozialen Konflikte unübersichtlicher: ethnische Unruhen, städtische Riots und vor allem gewaltige Flucht- und Migrationsströme.

Durch Proletarisierung und Verstädterung wurden traditionelle Formen der gesellschaftlichen Organisierung, wie Großfamilien, Dorfgemeinschaften und Clans ausgehöhlt. Regimes, die sich auf diese traditionellen Formen gestützt hatten, wurden destabilisiert oder gestürzt, wie in Südkorea oder Indonesien. In einigen Ländern wie Somalia und Afghanistan hörte der Staat ganz auf zu existieren und machte der Herrschaft miteinander konkurrierender Banden Platz. Aber genausowenig wie der Staat, boten diese Banden eine Garantie dafür, die Verhältnisse unter Kontrolle zu behalten. Auch der religiöse Fundamentalismus schafft es nicht mehr, die Verhältnisse im Sinne des Kapitals zu stabilisieren, so wie das noch Ende der 70er Jahre im Iran der Fall war. Und genau gegen diese neue Unübersichtlichkeit der sozialen Konflikte richtet sich der "Krieg gegen den Terrorismus".

Ich will an zwei Beispielen - UN und NATO - erläutern, wie sich deren Politik verändert hat.

Vor allem beim Kosovokrieg haben viele Gegner des NATO-Krieges die Einhaltung des Völkerrechts mittels Einschaltung der UN gefordert, den sie halten die UN für ziviler als die NATO. Den Koreakrieg, ein UN-Krieg mit 2 Mio. Toten, darunter 400 000 toten Zivilisten, haben sie wohl vergessen.

Das UN-Völkerrecht beruht bisher auf dem Grundsatz der Souveränität der Staaten. Souveränität, das bedeutet die Hoheitsgewalt des Staates nach außen und nach innen. UN-Generalsekretär Kofi Annan schränkte bei seiner Nobelpreisrede jedoch ein: "Die Souveränität der Staaten darf nicht länger als Schutzschild für grobe Menschenrechtsverletzungen dienen."

1999 (das war nach dem Kosovokrieg) bei seinem Jahresbericht an die UN-Generalversammlung führte Annan das schon mal genauer aus: "Ein globales Zeitalter braucht globales Engagement. ... Wenn wir die Zukunft der Intervention betrachten, müssen wir unsere Bemühungen verdoppeln, unsere Vorbeugungsmaßnahmen zu erweitern - einschließlich Frühwarnungen, Präventivdiplomatie, präventive Stationierung und präventive Entwaffnung."

Der deutsche Kriegsaußenminister Fischer ergänzte vor der selben Versammlung: "Generalsekretär Kofi Annan hat zu Recht dazu aufgerufen, eine 'Kultur der Prävention' zu entwickeln, um den Ausbruch von Kriegen und Naturkatastrophen künftig wirksamer zu verhindern. ... Die Nichteinmischung in 'innere Angelegenheiten' darf nicht länger als Schutzschild für Diktatoren und Mörder mißbraucht werden. ... Die Festsetzung Pinochets und die Anklage Milosevics vor dem Internationalen Jugoslawien-Tribunal sind Meilensteine auf dem Weg zur weltweiten Herrschaft des Rechts."

Kriege und Naturkatastrophen, Interventionen sollen durch jeden Anlaß gerechtfertigt sein. In seiner Rede nennt Fischer u.a.: Bürgerkriege, ethnische Spannungen, Pogrome, Massenvertreibung, Massenmord, Völkermord, Umweltzerstörung. Und wenns die nicht gibt, kann man immer noch präventiv eingreifen.

Und wer soll sich an der weltweiten Herrschaft des Rechts beteiligen? Fischer: "Ich unterstütze den Vorschlag von Generalsekretär Kofi Annan, im Rahmen einer public-private partnership zwischen den Vereinten Nationen und großen Unternehmen einen globalen Pakt über gemeinsame Werte und Grundsätze abzuschließen, die dem Gesetz des Marktes ein menschliches Gesicht geben."

Ja genau, bei den großen Unternehmen ist die weltweite Herrschaft des Rechts bestens aufgehoben, bekannte Beispiele dafür sind Shell in Nigeria, oder die BP, die sich in Kolumbien gleich eine ganze Privatarmee leistet.

UN oder auch die Weltbank setzen zunehmend auf Beratung und Mithilfe durch Nichtregierungsorganisationen, wie z.B. Ärzte ohne Grenzen. Weil Kriege und Interventionen immer öfter im Namen der Menschenrechte geführt werden, sind die NGOs, die ja zum Schutz der Menschenrechte angetreten sind, ein wichtiger Faktor bei der Kriegsführung. 1992 haben die Hilfsorganisationen die Intervention in Somalia erst herbeigerufen.

1991 zerfiel die Sowjetunion. Der Warschauer Pakt, das östliche Gegenstück zur NATO, löste sich auf. Bis dahin war der Einsatz von NATO-Truppen auf die Verteidigung gegen Angriffe auf einen Mitgliedsstaat beschränkt. An die Stelle des klaren Feindbildes Ostblock traten jetzt Risiken, die, so die NATO, "ihrer Natur nach vielgestaltig" sind und "aus vielen Richtungen" kommen, z.B. "die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen, sowie Terror- und Sabotageakte". 1999 wurde diese NATO-Strategie weiterentwickelt.

Im Wortlaut: "Zu diesen Risiken gehören Ungewißheit und Instabilität in und um den euro-atlantischen Raum. (...) Einige Länder sehen sich ernsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schwierigkeiten gegenüber. Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehlgeschlagene Reformbemühungen, die Verletzung von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen. Die daraus resultierenden Spannungen könnten zu Krisen führen, die die euro-atlantische Stabilität berühren, sowie zu menschlichem Leid und bewaffneten Konflikten. Solche Konflikte könnten, indem sie auf benachbarte Staaten einschließlich NATO-Staaten übergreifen oder in anderer Weise, auch die Sicherheit des Bündnisses oder anderer Staaten berühren. (...) Die Sicherheit des Bündnisses muß jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können auch von anderen Risiken umfassender Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung lebenswichtiger Ressourcen."

Zu den Risiken, die Eingreifen nötig machen könnten, zählt die neue NATO-Doktrin auch die "unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen", also Flucht und Migration.

Aus den Zitaten wird klar, daß gerade eine Umdeutung des Völkerrecht im Gange ist. UN und NATO sollen im Prinzip die Möglichkeit haben, sich überall einzumischen, wo der Verwertungsprozeß bedroht ist oder stockt. Ein Beispiel: Wegen Aktivitäten der Separatistenbewegung mußte ExxonMobil vor einigen Monaten die Erdgasförderung in der indonesischen Provinz Aceh vorübergehend einstellen. Und was steht mit ganz oben auf der Liste des Krieges gegen den Terrorismus? Genau.

Zum Schluß meine Thesen:

1. Wegen Proletarisierung, Globalisierung und Ende der Blockkonfrontation sind die Nationalstaaten nicht mehr hinreichend für die Konfliktbewältigung in Sinne des Weltkapitals. Deshalb wird Machtausübung zunehmend supranational organisiert, wobei die Nationalstaaten weiterbestehen und integriert werden.

2. Der "Krieg gegen den Terrorismus" ist ein weiterer Schritt bei dieser übernationalen Organisierung. Noch nie waren so viele Regimes einig in Bezug auf Feind und Maßnahmen. Fast überall werden Kontrolle und Repression verschärft, ganz besonders gegen Migranten.

3. Die Zivilgesellschaft soll für Vermittlung und Regulierung der Globalisierung auf gesellschaftlicher Ebene sorgen. Daher die zunehmende Einbeziehung der NGOs in alle Bereiche: von Ratgebern bei Strukturanpassungsmaßnahmen über Betreiber von Flüchtlingslagern bis zur humanitären Begleitung von Militärschlägen.

4. Die Herausbildung von global funktionierenden Herrschaftsgebilden jenseits der Nationalstaaten hat erst begonnen und ist daher noch relativ offen. Niemand kennt seine endgültige Rolle - weder die US-Regierung, noch die NGOs oder irgendeiner dazwischen.

Stellt sich die Frage, was das jetzt für uns heißt. Schwierig, ich habe den Eindruck, als würde die waffenstrotzende Arroganz der Herrscher der Welt bei den Linken zu ohnmächtiger Resignation führen. Daß militärisches Eingreifen immer notwendiger erscheint, zeigt jedoch, wie sehr die Verhältnisse unter Druck stehen. Zwischen der Absicht, die Welt nach den Bedürfnissen von Arbeit und Ausbeutung zu ordnen, und deren Realisierung liegen enorme Schwierigkeiten. Die verzweifelten Versuche, die Krisen- und Konfliktherde der neuen Weltunordnung militärisch in den Griff zu kriegen, ähneln mehr und mehr dem Versuch, das Loch im Damm mit dem Daumen stopfen zu wollen. Und darauf sollten wir unsere Aufmerksamkeit richten, wenn wir uns die Welt anschauen: nicht auf die Macht, sondern auf die Punkte, an denen sich die Macht bricht.


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