Kriegstrommeln in Asien

Bei der Krise in Osttimor geht es um Indonesien

Stand: 1.10.99

Bis jetzt war die Politik der UN in Ostimor erfolgreich. Es wurde - durch massenhafte Zerstörungen, Enteignungen, Vertreibung, Massaker an der osttimoresischen Bevölkerung eine humanitäre Krise inszeniert, die alle Möglichkeiten für eine Intervention in Indonesien aufgemacht hat. Staatliche Gewalt (arbeitsteilig UN, Indonesien) hat die osttimoresische Bevölkerung als Bauernopfer gebracht, um größeres zu verhüten: den Zusammenbruch staatlicher Gewalt im viertgrößten Land der Welt.

Überblick über die Geschichte Osttimors

Timor ist die größte der kleinen Sundainseln. Die Teilung in West- und Osttimor ist die Folge der Kolonialgeschichte.

Anfang des 16.JHD. landeten die Portugiesen bei ihren Handelsreisen zu den Gewürzinseln (Molukken) wiederholt auf Timor. Mitte des 17.Jhd besetzte die holländische Ostindienkompagnie Kupang (heutige Hauptstadt Westtimors) und zwang die Portugiesen, nach Osten zurückzuweichen. Endgültig wurde die Grenze zwischen Ost- und Westtimor erst 1914 vereinbart.

Nach dem 2.Weltkrieg begann in Niederländisch Ostindien der anti-koloniale Befreiungskampf. Aus den befreiten Kolonien entstand Indonesien. Westtimor als ehemalige holländische Kolonie wurde Teil davon. Osttimor blieb portugiesische Kolonie.

Die Osttimoresen betrieben meist bäuerliche Selbstversorgung, also Subsistenzwirtschaft, an der Küste gab es Fischer. Der Handel wurde seit Generationen von eingewanderten Chinesen dominiert, diese waren 1975 2% der Bevölkerung. Die Portugiesen hatten ein paar Kaffeeplantagen angelegt, wo auch heute noch seht hochwertiger Kaffee wächst. Zunächst war Sandelholz das Hauptexportprodukt, aber die Wälder wurden zunehmend abgeholzt. Außerdem wurde Marmor exportiert. Ansonsten zeigte die Kolonialmacht kein besonderes interesse an einer Entwicklung Osttimors, Infrastruktur, Schul- und Gesundheitswesen waren äußerst bescheiden, 1975 soll es gerade mal 20km asphaltierte Straße gegeben haben.

1974 kam es in Portugal zu einem unblutigen Staatsstreich, der sogenannten "Nelkenrevolution". Beinahe 50 Jahre lang war Portugal Diktatur gewesen. Nach dem Sturz der Diktatur wurde nach innen demokratisiert und nach außen die Entkolonialisierung eingeleitet. Das portugisische Kolonialreich war einer der Gründe für den Putsch gewesen, die Armee hatte die Schnauze voll von den Kämpfen in Afrika. 74/75 wurden die fünf portugiesischen Kolonien in Afrika unabhängig.

Portugal begann mit der Entkolonialisiserung Osttimors, indem es ab 74 demokratische Strukturen einführte. Drei osttimoresische Parteien entstanden: UDT und Fretilin, die für die Unabhängigkeit waren, und unter Mithilfe Indonesiens die Apodeti, die für den Anschluß an Indonesien waren. Im Februar und März 75 wurden Kommunalwahlen abgehalten, die die Fretilin, die radikalste der drei Parteien mit 55% der Stimmen gewann.Das Ergebnis der pro-indonesischen Apodeti war vernachlässigbar.

Durch Intrigen Indonesiens vorbereitet, begann im August 75 ein blutiger Bürgerkrieg zwischen den beiden großen Parteien UDT und Fretilin. Die Fretilin, die besser ausgerüstet und wesentlich beliebter war, gewann nach wenigen Wochen die Oberhand.

Auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs verdrückte sich die ganze portugisische Verwaltung, ohne das die Kolonialisierung offiziell abgeschlossen worden wäre. Deshalb gilt Osttimor bei der UN bis heute als "Territorium ohne eigene Regierung", eine höfliche Umschreibung für eine Kolonie. Zuständig ist nach den Völkerrecht Portugal, jedenfalls war das bis zum 5. Mai 99 so.

Die Portugiesen waren weg. Fretilin war, nach dem Sieg bei den Kommunalwahlen und im Bürgerkrieg, in der Rolle der de-facto-Regierung. Sie bauten eine Verwaltung auf und initiierten Programme zur Verbesserung der sozialen-, schulischen- und Gesundheitssituation.

Am 28. November 75 erklärte die Fretilin Osttimor für unabhängig und rief die Demokratische Republik Osttimor aus. Am 7. Dezember begann die indonesische Armee die Invasion in Osttimor, einen Tag nach einem Treffen zwischen dem damaligen Diktator Soeharto und dem US-Präsidenten.

Die Invasion begann mit der Bombardierung Dilis von See aus. Schrittweise eroberten die Indonesier weitere Städte. Bis zum April 76 hatten sie 35 000 Soldaten auf Osttimor stationiert. Denen stand die Fretilinarmee Falintil gegenüber, die nach der Staatsgründung praktisch die Armee Osttimors war. Sie bestand aus 20 000 Mann, jedoch hatten die meisten nur eine kurze militärische Ausbildung.

Bis 78 konnte die Falintil aber noch einen Großteil des ländlichen Gebiets halten. Das indonesische Militär reagierte mit Flächenbombardierungen, Zerstören der Felder und Massenvertreibungen. In den ersten Jahren der Besetzung kamen 200 000 Osttimoresen um, entweder direkt Opfer der indonesischen Massaker oder sie verhungerten oder bei Epidemien in den Flüchtlingslagern. Man schätzt, daß 80% der osttimoresischen Dorfbevölkerung im Laufe der Besatzungszeit umgesiedelt wurde.

1979 war die Falintil beinahe am Ende, sie hatte 90% der Waffen und 80% der Truppen verloren. Da beschlossen sie, den Krieg als Guerillakrieg weiter zu führen. Die einige hundert Mann starke Guerilla soll 20 000 indonesische Soldaten getötet haben.

Im Juli 76 wurde Osttimor als 27. Provinz offiziell Indonesien eingegliedert. International wurde diese Annektierung aber nur von Australien anerkannt.

Indonesien investierte wesentlich mehr in die Entwicklung Osttimors als Portugal. Besonders in die Infrastruktur, Schulen Gesundheitszentren und die aufgeblähte Verwaltung. Zum Schluß sollen die Investitionen 110Mill. Dollar pro Jahr gewesen sein, ohne die militärischen Kosten. Gleichzeitig eigneten sich die militärische und politische Nomenklatura die Ressourcen an. Der Klüngel um Soeharto hat heute noch großen Landbesitz dort, Armeechefs übernahmen Kaffeplantagen. Viele der öffentlichen Gelder aus Indonesien für Osttimor landeten in privaten indonesischen Geldbeuteln.

13 Jahre lang war Osttimor nach außen abgeschlossenes Territorium. Das Militär reagierte auf den anhaltenden Widerstand mit Massakern, willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen, Folter.

1989 wurde Osttimor für Ausländer und Indonesier geöffnet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Indonesier dort stationierte Soldaten und dorthin versetzte Staatsdiener, Verwaltungsleute, Lehrer, Ärzte gewesen. Ab 89 konnte auch ganz normale Indonesier einwandern, teilweise als von der Regierung gesponserte Transmigranten,teilweise auf eigene Faust. Heute sind 20% der Bevölkerung Einwanderer aus Indonesien. Sie sind nicht beliebt bei den Osttimoresen. 1995/96 gab es eine Serie von Riots gegen indonesische Marktstände und Moscheen.

In der UN gab es im Laufe der Jahre verschiedene Resolutionen, in denen Indonesien zum Abzug aufgefordert wurde. So wirklich hat sich aber niemand drum gekümmert, außer Portugal. Zur Zeit der Besetzung war noch kalter Krieg und die Freteilin war links, galt sogar als "marxistisch", dagegen war das indonesische Regime stramm anti-kommunistisch.

Diejenigen, die sich um Osttimor kümmerten waren:

Erst in den 90er Jahren wächst das Interesse der "internationalen Gemeinschaft" an Osttimor. Der Vertreter des Papstes in Dili und ein Fretilin-Vertreter erhalten den Friedensnobelpreis. Der Hintergrund: Indonesien war zu einem der aufstrebenden Tigerstaaten geworden. Gleichzeitig war das Ende der Soeharto-Ära absehbar. Nicht nur aus biologischen Gründen, er war alt geworden und ein Nachfolger nicht in Sicht, sondern auch, weil durch das Entstehen von städtischer Arbeiterklasse und intellektuellem Mittelstand Strukturen unhaltbar wurden, die aus Zeiten stammten, als die meisten Indonesier noch Bauern waren.

Indonesien

Und tatsächlich begann im Jahr der Nobelpreisverleihung an Belo und Ramos-Horta das Ende der Soeharto-Diktatur mit dem Aufstand in Jakarta im Juli 96. Der konnte sich zwar noch nicht durchsetzen, aber als 97 die Asienkrise ausbricht, verliert die Diktatur ihre Rechtfertigung: politische Unterdrückung, dafür aber Wirtschaftswachstum. Aufstände und Studentenbewegung führten im Mai 98 zum Rücktritt Soehartos.

Das war durchaus auch im Sinne des Kapitals. Die verknöcherte und durch und durch korrupte Staatsverwaltung war zuletzt auch ein Hemmnis für freies unternehmerisches Wirken, vor allem für das ausländische Kapital geworden. Die Kosten für Steuern, Abgaben, Geschenke usw waren höher als die Lohnkosten. Soeharto zeigte sich auch recht starrköpfig gegenüber den Rettungsmaßnahmen des IWF. Während aber auf der einen Seite der Nachfolger Habibie ohne größere Reformen die Regierung übernehmen konnte, holte sich die indonesische Gesellschaft mehr Freiheit und mehr Freiheiten als dem Kapital guttut. Der Einfluß und vor allem die Autorität des Militärs schwand in den Auseinandersetzungen mit den Großdemonstrationen, die von den Studenten organisisert worden waren und unter dem Druck einer explodierenden Diskussionskultur, ausgedrückt in einer großen Zahl von neu gegründeten oder neue Freiheiten ausnützenden Zeitungen und Zeitschriften. Die ganzen Menschenrechtsverletzungen während der Soeharto-Ära, ja selbst die Lügen, die über ihren Beginn gestrickt worden waren, wurden plötzlich thematisiert. Der Rückzug des Staats insgesamt führte dazu, daß im zweiten Halbjahr 98 Indonesien sicher mit zu den freiesten Ländern der Welt gehörte. Jedenfalls in Bezug auf bürgerliche Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit usw - nicht aufgrund einer "Demokratisierung", sondern weil sich die Menschen um alte Gesetze nicht mehr scherten. KKN (Korupsi, Kolusi, Nepotisme) und Reformasi waren die Schlagwörter des Jahres 98, sogar Habibie forderte "Reformasi total".

Der Staat war zurückgedrängt, was für die Menschen bedeutete, daß er sowenig für sie tat wie in der Vergangenheit, daß es aber möglich war, sich selber drum zu kümmern. Vor allem Bauern und ArbeiterInnen setzen das um; von großen Plantagen bis zu Golfplätzen werden Ländereien besetzt. 496 "Streiks und industrielle Aktionen" zählte die Polizei für 1998. Bei diesen Aktionen war die Reaktion von Polizei/Militär uneinheitlich und unsicher. Mal beobachteten sie nur, mal versuchte sie zu schlichten (manchmal wurden auch die Chefs gedrängt, nachzugeben), mal reagierten sie aber auch mit Knüppelorgien oder schossen scharf, wie beim Maspionstreik in Surabaya im März diesen Jahres.

In dieser Unsicherheit des Militärs drückte sich nicht nur der politische Druck sovieler neuer Wünsche, Hoffnungen und die Wut über die Krismon (Krisis moneter) vor allem bei den einfachen Soldaten aus. Sondern auch das radikale Scheitern einer antikommunistischen Ideologie, die weitgehend unverändert während Soehartos "Orde Baru" in den Streitkräften, Schulen usw.kultiviert worden war. Die "Unruhen" sehen zwar irgendwie kommunistisch aus, aber es fehlt der Feind, die Kommunisitische Partei. Sogar die "Ninja"-Serienmorde in Ostjava im Oktober/November 98 versuchten einige Offiziere den "Kommunisten" unterzuschieben - ohne Erfolg; erfolgreicher war die Vermutung, daß es Kreise im Militär waren, die schlicht versuchten, Mord und Totschlag zu säen. Seitdem werden von reaktionärer und Staatsseite Unruhen aller Art mit dem Wirken von "Provokateuren" erklärt - und diese gesucht, was das Leben für einzelne, jenseits der halboffiziellen NGOs aktiven Menschen erheblich erschwert hat.

Mehrere Tausend Menschen sind allein in diesem Jahr in vordergründig aus religiösem oder ethnischem Haß umgebracht worden; auf den Molukken, in Nordostkalimantan, auch auf Java selber. Vordergründig, weil fast immer die Geschichte der Transmigrasi zum Vorschein kommt. Mehrere Millionen Menschen sind während der Orde Baru von Java und Sulawesi in weniger dicht besiedelte Gebiete umgesiedelt worden; z.T. zwangsweise, z.T. mit Anreizen, etwa Ackerland, das zuvor oft den Alteingessenen gestohlen worden war. So galt die Wut der Menschen in Ostkalimantan den zugewanderten Maduresen; auf den Molukken, die traditionell nicht ausschließlich, aber mehrheitlich christlich waren den zugewanderten Moslems. Entsprechend gab es im Schatten von Mord- und Totschlag auch große Flüchtlingswellen, meist zurück zum Rest der Familie "in der alten Heimat". Auch dabei fand das Militär keine einheitliche Linie, mal griff es gar nicht ein, mal beteiligte es sich am Massenmord.

Die Studentenbewegung hat sich inzwischen etwas ausdifferenziert; die ganz großen Demos wie noch im Mai und Juni letzten Jahres kommen nicht mehr zustande. Ein Teil der StudentInnen hat sich zurückgezogen, bzw. hat mit dem eigenen Überleben zu kämpfen. Ein Teil hat Hoffnungen auf die Wahlen und auf die "Demokratie" gesetzt und ist in die Parteien gegangen. Ein kleinerer Teil hat sich in vielfacher Weise radikalisiert; das sieht man nicht nur an der Militanz der Demos anläßlich der Verabschiedung des Notstandsgesetztes im späten September. Sondern aus der Studentenbewegung ist auch, lokal unterschiedlich, Unterstützung für die Arbeiter (und Bauern) erwachsen; "hinter" manch einem Streik stecken linksradikale Studenten(1) - mal als Gruppe, mal einzelne Personen. Die halb sozialdemokratisch, halb leninistische PRD hat einen Teil dieser Menschen anziehen bzw. organisieren können. Viele lehnen sie wegen ihrer weitgehend kritiklosen Beteiligung an den Wahlen ab.

Studentendemos und Bauern- und Arbeiterkämpfe laufen immer noch nebeneinander her, auch wenn sich Berichte darüber mehren, daß die Demos gerade dann massenhafte Unterstützung von außerhalb der Unis kriegen, wenn sie in Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften geraten. Noch kümmern sich die Bauern und ArbeiterInnen zuerst mal um ihre eigenen Probleme. Und zumindest für die ArbeiterInnen kann man immer noch davon ausgehen, daß - von der vereinzelten Unterstützung kleiner Gruppen oder auch NGOs abgesehen - sie ihre Streiks selber organisieren. Gewerkschaften sind erst ansatzweise entstanden. Daß daraus Gewerkschaften in unserem Sinn entstehen könnten, wäre nicht undenkbar, wenn der Staat und die Kapitalisten sie akzeptieren würden - was sie nicht tun, denn das würde Geld kosten und ganz allgemein voraussetzen, daß die indonesische Wirtschaft schnell aus der (Asien-)krise herauskommt.

Die Parlamentswahlen sind zwar friedlich verlaufen, aber die politischen Figuren stammen alle noch aus Soehartozeiten und können nicht mit den korrupten Strukturen brechen. Eine neue Politikergeneration, z.B aus der Studentenbewegung heraus, ist noch nicht herangewachsen. Darüberhinaus ist in dem engen Raum zwischen den Machtgelüsten der alten Reichen mit dem Militär und den Erwartungen der Wähler gar keine andere bürgerliche Politik möglich, als plumper Populismus - also leere Versprechungen und Mobilisierung von Nationalismus (und gegebenenfalls Religion) auf der einen Seite und Vertuschung und Weiterführung der KKN auf hoher Ebene. Eine Politik, die - etwa im Sinne des IWF oder der Weltbank - die Finanzen und das Banksystem in Ordnung bringt und gleichzeitig anfängt, die ArbeiterInnen zu integrieren, ist weder gewollt, noch angesichts von Kräfteverhältnissen, Reichtumsverteilung und andauernder Krise machbar. Das zeigt nicht zuletzt der Großskandal um die "Bank Bali", eine Bank, die vom Staat mit IWF-Geldern refinanziert worden ist. Von dort sind über kleine Umwege 80 Millionen US$ in den Präsidentschaftswahlfond Habibies geflossen; das ist seit mehr als zwei Monaten bekannt, aber die Aufklärung geht so schleppend voran, daß der IWF die Kommunikation mit der indonesischen Regierung vorerst auf Eis gelegt hat. In den Skandal verwickelt sind nicht nur der Bruder Habibies, sondern auch wichtige Minister und der Chef der Bankrestrukturierungsbehörde.

Das alles muß äußerst beunruhigend für die Herren Indonesiens, als auch für die Herren der Welt sein. Das bisherige Pulver ist verschossen, die Gelder von IWF und Weltbank sind zu gut 4/5 aufgebraucht. Zur Stabilisierung der Lage sind durchgreifende Maßnahmen nötig.

Die gemachte Krise

Daß die Entwicklung in Osttimor, einschießlich des Wütens der Milizen in Form von Massenmord und Vertreibungen vorhersehbar war, ist unstrittig. Die bürgerlichen Kommentatoren und die "linken" staatshumanistischen Kriegstreiber drücken sich natürlich vor der einzig möglichen - und schrecklichen - Schlußfolgerung: die Entwicklung war auch gewollt - zumindest von Indonesien und der UN und in Kauf genommen von den Führern der osttimoresischen Befreiungsbewegung und ihren Soli-Freunden in aller Welt.

Dieser Punkt ist wichtig festzuhalten - für das Verständnis der derzeitige Krise in Indonesien und für den Kampf gegen die zukünftige Politik der politisch-militärischen Agenturen des Weltkapitals. Denn der Staatshumanismus wird mit Lügen und Verdrehungen seine Geschichte schreiben wollen.

Es war eine Frage des Timings - die Krise wurde zielgenau für die Zeit vor der Präsidentschaftswahl aufgebaut. Um dies darzustellen, jetzt erst mal eine knappe Chronologie der Ereignisse.

Chronologie Osttimor

1998:(2)

ab Januar Proteste, Riots, Plünderungen

14.5. Riots in Jakarta

21.5. Soeharto zurückgetreten, Demos gegen Habibie

13.6. Demo in Dili für Unabhängigkeit mit 10000

28.6. EU- Delegation in Dili, 1 Toter bei Demonstrationen

12.7. Massenflucht aus Osttimor von 20000 bis 50000 wegen Anti-Indonesischen Riots

Aug 98 Habibie schlägt Autonomie vor

12.9. Plünderungen von Zwiebelfelder und Reislagern in Osttimor

11.10 Demo gegen die Drohung, alle Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst zu entlassen, die für Unabhängigkeit sind

Mahidi-Miliz nach eigener Aussage Mitte Dezember gegründet. (SMH 6.2.)

23.11. Studidemo in Dili gegen Massaker in Alus, Süd-Osttimor

20.12. UN-Besuch, Demo für Unabhängigkeit. Marker (UN) stellt Autonomie-Angebot vor: 10 Jahre, währenddessen entschieden werden könne, ob Osttimor ein eigener Staat werde.

1999:

27.1. M. Carrascalao (Fretilin) sagt, Milizen kriegen Gewehre vom Militär (ST)

Mitte Januar: ETAN (East Timor Action Network) sagt später, sie hätten die UN seit Mitte Januar davor gewarnt, daß die Milizen die Unabhängigkeits-Wähler angreifen würden, falls die Abstimmung für Unabhängigkeit ausginge (CNN, 15.9.99)

28.1. Massaker in Suai, 22 Tote

6.2. Belo (Vertreter des Papstes in Osttimor) sagt, Bewaffnung käme vom Militär (TA)

4.3. Der australische Militärische Geheimdienst berichtet, daß die TNI mit den Milizen zusammenarbeitet und sie beschützt. (TA 11.9.)

11.3. Milizen haben 5000 Gewehre, auch Falintil kauft von Soldaten Gewehre für 15$US (TA)

11.3. Alatas, der indonesische Außenminister: "Wir wollen dieses Datum (Neues Parlament) nicht versäumen, Deshalb ist es im vitalen Interesse Indonesiens, daß es keine Verzögerung gibt" (CNN)

11.3. Howard dementiert, daß Truppen für die Versendung nach Osttimor vorbereitet werden (CNN)
Tausende von Lehrern haben Versetzung beantragt (ST, 12.3.)

5.4. Massaker in Liquisa 24 bis 40 Tote in Kirche
Milizendemo in Viqueque

8.4. Horta verlangt NATO-Einsatz wie im Kosovo (The Gazette Cedar Rapids, 9.4.)

16.4. Bundestagsdelegation verlangt "friedenserhaltende Mission der UN"

17.4. Bewaffnete Mlizendemo in Dili: 3000 Teilnehmer, mindestens 12 Tote (CNN, 18.4.)

18.4. "Zu fordern, die in Osttimor stationierten Sicherheitskräfte sollten für Ruhe und Ordnung sorgen, hieße den Bock zum Gärtner machen" (Watch Indonesia)

5.5. Abkommen zwischen Indonesien, Portugal und den UN über Autonomiestatut und über Befragung der Osttimoresen: Autonomie in Indonesien oder Unabhängigkeit. Dabei wird auch die Anwesenheit und Zuständigkeit der indonesischen Sicherheitskräfte zum ersten Mal "völkerrechtlich" anerkannt.

9.5. Riot bei Eintreffen des UN-Teams in Dili, Schießerei

10.5. Schießerei in Dili (20 Tote, CNN, darunter Sohn von M. Carrascalao)
CNRT -Aufruf an "Jugend von Dili", ruhig zu bleiben
Annan will die Sicherheitslage dauernd überprüfen um zu entscheiden, ob weitergemacht wird (CNN)

19.5. UN entdeckt Trainingscamp in Atsabe - UN sagt, sie hätte Beweise dafür, daß die Milizen weitere Angriffe auf Zivilisten plane (CNN 20.5.)

27.5. Alatas sagt, "die Anstrengungen seines landes wären umsonst gewesen, wenn sich die UN für eine Verschiebung der Abstimmung entscheiden würde" (TA, 28.5.)

28.5. Vendrell, hoher UN-Diplomat, warnt, daß die UN nicht in der Lage sein werden, die Abstimmung durchzuführen, wenn sich die Sicherheitslage nicht verbessern sollte.(CNN)

6.6. Wahlen in Indonesien. In Osttimor stehen 3 Milizenführer auf der Golkar-Liste.

18.6. Ian Martin verurteilt indonesische Streitkräfte wegen Teilnahme an Terrorismus und Menschenrechtsverletzungen. Er habe selbst gesehen, wie Milizen von einem ehemaligen Soldaten trainiert worden sind.(SMH 19.6.)

30.6. UN-Büros in Malina und Viqueque angegriffen
Verhandlungen zwischen Mlizen und Fretilin beendet. Ohne Ergebnis

2.7. UN evakuiert 6 Leute aus Liquisa, nachdem sie bedroht worden sind.(CNN)

3.7. Wiranto (Chef der indonesischen Streitkräfte) warnt vor "Spannungen" um die MPR -Sitzung. Er will 21000 Mann auffahren (ST 3.7.)

9.7. Erste Verschiebung der Befragung
Pro-Indonesische-Flüchtlinge in West Timor
Milizen beherrschen Liquisa, Ermera, Bobonaro. Dort 60000 in Lagern

9.7. UN rufen zu einem Treffen über Nach-Wahl-Gewalt, hohe UN-Beamte fordern Friedenstruppen, um Revanche der Mlizen zu verhindern. Basilio, Chef einer der Mlizen sagt, sie würden als Guerrilla in die Berge gehen.(SMH)

17.7. Wahlen in Indonesien: Zahlen aus allen Provinzen endlich in Jakarta. Ergebnis noch nicht amtlich. In Osttimor gewinnt Golkar

28.7. Zweite Verschiebung der Abstimmung

1.8. In Dili wird das Haus eines Milizionärs von Menschenmenge angegriffen und angezündet

3.8. Habibie erklärt die Wahlen für gültig

18.8. Verletzte bei Mlizendemo in Maliano

22.8. Eine US-Kongress-Delegation wird von UN-Mitarbeitern darüber informiert, daß sie davon ausgehen, daß die Milizen moderne Waffen besitzen und einen "vollen" Krieg anfangen werden, wenn sie verlieren. Die Delegation verlangt bewaffnete Friedenstruppen. (ST, 23.8.)

24.8. Pro -Indonesische Demo in Dili

25.8. Unabhängiskeits-Demo in Dili, sehr groß

30.8. Abstimmung, einigermaßen friedlich

1.9. Milizen übernehmen einige Städte, UN-Mitarbeiter getötet

3.9. Bekanntgabe des Ergebnisses
Indonesisches Militär bereitet sich auf Evakuierung von 250000 vor (ST)

6.9. Kriegsrecht.
Evakuierung UN-Helfer, Mitarbeiter
Alarmbereitschaft bei australischen Truppen in Darwin

Anf. September: Ein Berater Gusmaos sagt, es sei die wichtigste Aufgabe derzeit, die Falintil zum Stillhalten zu überzeugen, das sei aber sehr schwierig (taz, 9.9.)

10.9 Nur noch 80 UN-Leute, Milizen dringen auf Gelände vor
Soldaten bringen 4 Falintil-Mitglieder bei Schußwechsel um (JP, 11.9.)

11.9. UN-Delegation in Dili - 200000 seien in den Bergen um Dili und 100000 nach Westtimor vertreiben, so die UN (BBC, 12.9.)

12.9. Indonesien akzeptiert UN-Truppen

13.9. Ian Martin (Leiter von UNAMET) gibt zu, daß das Blutbad vorhersehbar war. Andere Offizielle von UNAMET sagen, sie hätten merhfach vor dem gewarnt, was dann passiert ist. Tägliche Berichte seien ignoriert worden. "Wir haben keine Antwort bekommen" (LUSA, 14.9.)

14.9. Schließung des UN-Geländes, Flüchtlinge werden evakuiert

15.9. Auseinandersetzungen zwischen Demos in Jakarta

17.9. Abzug Indonesischer Truppen beginnt
Australien schließt wegen Protesten Vertretungen in Balikpapan und Surabaya

19.9. Horta ist entsetzt, daß sich die Hochkommissarin der UN für Flüchtlinge, Sadako Ogata, von einem Milizienchef in die Lager begleiten läßt. (LUSA, 20.9.)
Vorhut der Interfet landet auf dem Flughafen von Dili

21.9. Schüsse auf australische Botschaft in Jakarta und Erstürmung des Konsulats in Medan durch Demonstranten
Friedenstruppen verhindern Plünderung eines Reislagers durch hungrige Osttimoresen (CNN, 22.9.)
Belo verlangt Intervention in Westtimor (ST, 22.9.)

23.9. Bei Straßenkämpfen gegen die Verabschiedung des neuen Notstandsgesetzes werden in Jakarta 5 Menschen getötet. Weil die Demos weitergehen, setzt Habibie das Gesetz vorerst nicht in Kraft

Bis zum Beweis des Gegenteils kann man also davon ausgehen, daß alle Beteiligte Zeitung lesen können und damit wußten, was sie taten. Spätestens im April war die Entwicklung abzusehen, also vor Abschluß des Abkommens. Und im August hätte die Abstimmung ohne weiteres weiter verschoben oder vorerst ausgesetzt werden können - wenn es der UN um das Schicksal der Osttimoresen gegangen wäre. Auch die "linken" Kriegstreiber in der internationalen East-Timor-Soliszene wußten was los war. Staat muß her mittels Staat, einschließlich Soldaten, das war von Anfang an ihr Motto. Koste es was es wolle. Militärische Aktionen oder gar Kriege müssen propagandistisch vorbereitet werden, erst recht dann, wenn mit eigenen Verlusten gerechnet werden muß. Der Beitrag der osttimoresischen Führer und ihrer Soli-Freunde in aller Welt kann in dieser Hinsicht als sehr wichtig angesehen werden: Sie ermöglichten es der australischen Regierung, sich als quasi vom Volk gedrängt darzustellen, als sie dann ihre Interventionskatze aus dem Sack ließ. In diesem Punkt war sie also noch erfolgreicher in der Kriegsvorbereitung, als die europäischen Regierungen vor ein paar Monaten.

Es geht nicht ums Öl in der Timor Gap. Ursprüngliche Erwartungen über das Ausmaß des Ölfeldes haben sich bisher nicht erfüllt; bisherige Probebohrungen waren entäuschend.(3) "Die Förderung im Timor Gap ist teuerer, als das Öl und Gas wert sind", so ein indonesischer Wirtschaftsfachmann.(4) Im letzten Jahr wurden Öl und Gas im Wert von gerade mal 1,1 Millionen US$ gewonnen. Deshalb konnte die indonesische Regierung auch ohne weiteres den 1989 mit Australien geschlossenen Vertrag über die gemeinsame Ausbeutung des Feldes zur Disposition stellen.(5)

Das Ausmaß der Katastrophe in Osttimor ist unklar. Schätzungen über die Zahl der Todesopfer gehen von 600 bis 7000; die indonesische Armee nennt für die Zeit während und nach der Abstimmung 90 Totesopfer.(6) Ein Drittel bis zwei Drittel der Bevölkerung sind geflohen oder vertrieben worden, wobei auch da nicht klar ist, wer vor wem geflohen und wer von wem vertrieben worden ist; neben der Massenflucht vor dem Terror der Milizen wird ein Teil dieser Bewegungen wird aus der Tatsache zu erklären sein, daß etwa 20% der Bevölkerung in den letzten zehn Jahren zugewandert ist und in der UN-Abstimmung nicht als Osttimoresen anerkannt wurde.

Auch diesmal hat es an den "Inkubatoren"(7) nicht gefehlt. Dazu zählen wir nicht die Ermordung des Vaters von Gusmao durch Milizen, der ein paar Tage später wieder unbeschadet auftauchte. Soetwas kann man machen, um jemanden zu schützen. Aber aufgespießte Köpfe gab es in Nordostkalimantan. "Agenturberichte schildern detailliert, wie die Milizen die Köpfe ihrer enthaupteten Opfer entlang der Straßen auf Stangen gespießt präsentieren.", so Watch Indonesia in einem Appell an die Bundesregierung(8). Was Agenturen wirklich berichtet hatten, war folgendes: "Joao Carrascalao, höchster Vertreter der osttimoresischen Widerstandsbewegung in Australien sagte: 'Eine Person, die von Dili nach Atambua gefahren ist, hat berichtet, entlang der Straße wären hunderte von Köpfen aufgespießt und Körper würden überall herumliegen.'"(9)

Die indonesische Volksversammlung MPR wird wahrscheinich Ende Oktober den neuen Präsidenten (oder die neue Präsidentin) wählen. Diese Versammlung besteht wird aus dem neuen Parlament, Regionalvertretern und ungewählten Militärs. Für Gekungel im Vorfeld besteht also viel Raum. Es gibt in Jakarta Gerüchte (allerdings gibt es in Jakarta immer Gerüchte), daß "Volksvertreter" mit bis zu einer Million US$ gekauft werden.(10) Das noch aus der Soeharto-Ära stammende alte Parlament hat an seinem letzten Sitzungstag ein neues Notstandsgesetz verabschiedet, das - trotz einiger Änderungen aufgrund von Protesten - immer noch eine praktisch legale Machtübernahme durch das Militär ermöglicht - bei inneren oder äußeren "Notständen" (wozu natürlich auch militärische Auseinandersetzungen um Osttimor gehören würden). Habibie hat angesichts der mit viel Sympathie bei den Leuten und bei großen Teilen der bürgerlichen Medien bedachten Demonstrationen das Gesetz noch nicht in Kraft gesetzt; das könnte er aber jederzeit. Wiranto hat inzwischen die Zahl der Soldaten, die er "zum Schutz der Volksversammlung" nach Jakarta holen will, auf 60 000 erhöht.

Derweil erhöht sich der Beat der Kriegstrommeln. Die Arroganz der australischen Regierung bei der Formulierung der "Howard-Doktrin" (Australien erklärt sich zum Deputy-Sheriff der USA, zuständig für Asien) und die Arroganz der australischen Soldaten in Osttimor (sie hatten sich fotografieren lassen, als sie einem gefesselten Mann die Kanone an die Schläfe hielten) hat schon zu Verstimmung mit Thailand und anderen asiatischen Ländern geführt. Gestern hat der Verteitigungsminister Australiens gesagt, daß die InterFET - Truppen auch nach Westtimor vorstoßen könnten, wenn es notwendig sei, um Milizen zu verfolgen. Natürlich war die Antwort des indonesischen Militärs, daß sie ihr Territorium verteitigen würden, wenn InterFET-Truppen ohne Erlaubnis auf indonesisches Gebiet vordringen sollten.

Ludwigshafen, 1.10.99
Karl Eugen


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2. Oktober 1999


1. siehe z.B. die Dokumentation über den Streik bei Tyfountex in Solo

2. Die Abkürzungen der Quellen: CNN: Cable News Network; BBC: BBC News; LUSA: LUSA, Portugiesische Nachrichtenagentur; JP: The Jakarta Post; SMH: The Sydney Morning Herald; ST: The Straits Times; TA: The Age
Vorgänge in Indonesien sind kursiv gedruckt.

3. Time Magazin, 20.9.99

4. The Jakarta Post, 6.9.99

5. AFP, 8.9.99

6. The Jakarta Post, 21.9.99

7. Für jüngere Leser: Kurz nach der Invasion Kuwait durch die irakische Armee wurde weltweit verbreitet, daß die Iraker Säuglinge aus den Brutkästen der kuwaitischen Krankenhäuser "gerissen" hätten - eine platte Lüge, wie sich herausstellte, Kriegspropaganda eben.

8. Appell an die Bundesregierung: Sofortiges Handeln in Bezug auf die aktuelle Situation in Osttimor erforderlich, 9.9.99

9. Reuters, Meldung aus Darwin, 6.9.99

10. The Jakarta Post, 1.10.99